Vestibuläre Erkrankungen bei Hunden und Katzen

 

Das vestibuläre System (oder auch das Gleichgewichtssystem) ist hauptsächlich dafür verantwortlich, den Kopf und die Gliedmaßen in der richtigen Position zur Schwerkraft zu halten. Dazu müssen verschiedene Rezeptororgane zur Verfügung stehen: Das Innenohr, dessen Labyrinth mit Haarzellen zur Wahrnehmung der Bewegung zuständig ist; der vestibulocochleare Nerv (8. Gehirnnerv) mit den beiden Nervenknoten (Ganglien) und die vestibuläre Nuclei (Nervenzellkörper) im Gehirnstamm. Ein Teil des Kleinhirnes ist diesem System zur Überwachung nachgeschaltet. Desweiteren sind die vestibulären Nuclei mit wichtigen Strukturen innerhalb des Gehirns verbunden: z.B. mit dem Thalamus zum Zustandekommen der bewussten Raumorientierung und mit dem Hypothalamus, der eine Rolle spielt bei der Entstehung von Bewegungskrankheiten; aber auch mit den Nuclei der Augenmuskelnerven. Krankheiten, die das vestibuläre System beeinflussen, resultieren daher häufig in Gleichgewichtsstörungen, aber auch in Übelkeit und unnatürlichen Augenbewegungen. In der neurologischen Praxis werden diese Erkrankungen sehr regelmäßig gesehen und behandelt.

Leider zeigen Störungen innerhalb des gesamten vestibulären Systems sehr ähnliche Symptome, am häufigsten fallen Kopfschiefhaltungen und veränderte Augenbewegungen auf, seltener Bewegungsstörungen der Gliedmaßen (Ataxie) und Verlust der Balance z.B. beim Springen. Trotzdem ist es wichtig, die Störung möglichst genau zu lokalisieren! Eine periphere (das Innenohr und den Gehirnnerv 8 betreffend) Störung muss anders behandelt werden, als eine zentrale. Dazu können Untersuchungen des Gehörganges und des Trommelfells helfen, Hinweise auf eine Infektion oder eines Tumors des Ohres zu geben; häufig sind aber auch weiterreichende Untersuchungen wie Röntgen, Kernspintomografien und Höruntersuchungen durch eine elektrisch-akustische Stimulation des Hirnstammes (BAER) nötig.

 

Katze mit angeborenem Nystagmus ohne deutliche Richtung der spontanen Augenbewegung

Junger Luchswelpe mit angeborener Ataxie und intentionalem Kopftremor. Evtl. ausgelöst durch Impfung des Muttertieres während der Tragezeit mit Parvovirus-Lebendvakzin

Junge Hauskatzen, die deutliche Bewegungsstörungen (Ataxien) zeigen, wobei der getigerte Katzenwelpe deutlich schwerer betroffen ist

 

Diagnose der Vestibulärerkrankung

 

Ursachen: Periphere Vestibulärerkrankungen können ohne offensichtlichen Grund entstehen (idiopathisch), ähnlich der Meniere's Erkrankung beim Menschen. Andere Ursachen sind Vergiftungen mit Aminoglykosiden (z.B. Streptomycin), Chlorhexidingabe ins Ohr, Tumore der Mittelohren (bes. Polypen), Trauma, Infektionen der Mittel-/Innenohren. Die Rolle einer manchmal gleichzeitig auftretende Schilddrüsenunterfunktion bei Hunden ist noch nicht abschliessend geklärt. Zentrale Vestibulärerkrankungen können durch Tumore des Hirnstammes und Kleinhirnes, Gehirnentzündungen, Metronidazolvergiftungen, Trauma, Thiaminmangel und Infarkten ausgelöst sein.

 

Vestibulärerkrankungen treten meistens akut auf!

 

Risikofaktoren:

  1. Alter: Angeborene Vestibulärerkrankungen (Haarzellverlust; Kleinhirnmissbildung, z.B. nach Parvoviroseinfektion im Mutterleib)

  2. Rasse: keine besondere Häufung, allerdings treten angeborene Defekte häufiger bei Siam- und Burmakatzen auf; Terrier-Rassen scheinen häufiger von Infarkten des Kleinhirns betroffen zu sein; große Hunderassen, bes. Retriever und Boxer, zeigen häufiger periphere (idiopathische) Vestibulärerkrankungen

Allgemeine Untersuchungsergebnisse:

  1. Verhalten: I.d.R. Normal, wobei manche Tiere ängstlich und desorientiert wirken können. Lethargie und Depression können auf eine zentrale Problematik hinweisen.

  2. Allgemeiner Gesundheitszustand: I.d.R. Gut, wobei fehlender Appetit und Flüssigkeitsaufnahme zu Gewichtsverlust und Dehydration führen kann. Blutuntersuchungsergebnisse sind meist unauffällig, sollte trotzdem immer durchgeführt werden (inkl. T4/TSH), evtl. bei Verdacht eines Infarktes Messung der D-Dimere als Hinweis auf eine auftretende Gerinnung.

Neurologische Untersuchung:

  1. Kopfschiefhaltung: Tritt bei peripheren und zentralen Vestibulärerkrankungen auf. Meist in Richtung der Läsion (Ausnahme: Paradoxe Vestibulärerkrankungen).

  2. Nystagmus (abnormale Augenbewegung): Tritt bei peripheren und zentralen Vestibulärerkrankungen auf. Schnelle Phase gewöhnlich von der Läsion weg. Kann spontan und horizontal/rotatorisch/vertikal auftreten. Falls nur bei Kopfpositionsänderung, spricht man von einem positionalem N. I.d.R. verändert der Nystagmus nur bei zentralen Läsionen seine Richtung bei Kopfpositionsänderungen!

  3. Augapfelposition: Ein ventro-lateraler (seitlich-unten) Strabismus (Schielen) kann auf der betroffenen Seite besonders bei peripheren Vestibulärerkrankungen auftreten.

  4. Spezielle neurologische Untersuchung:

  • Sind andere Gehirnnerven betroffen? Bei Läsionen des Mittelohres kann gleichzeitig eine Gesichtslähmung (Gehirnnerv 7) auftreten. Die gleichzeitige Störung mehrerer Gehirnnerven macht eine zentrale Ursache wahrscheinlicher.

  • Einige Tiere zeigen Rollbewegungen, drehen sich (in Richtung der Läsion) oder liegen auf der betroffenen Seite

  • Die Gliedmaßen der betroffenen Seite haben evtl. einen reduzierten Strecktonus, kontralateral ist er evtl. erhöht.

  1. Bildgebung

  • Kopfröntgen: Gut zum Ausschluss von Schädeltrauma und zur Untersuchung des knöchernen Mittelohres (Bulla)

  • CT/MRT: Besonders angezeigt, falls der Verdacht einer zentralen Läsion vorliegt, kann aber Veränderungen im der Innen-/Mittelohren zeigen, wobei die MRT dem CT weit überlegen ist.

  1. Elektrodiagnostik: Ein einfacher Hörtest (BAER, s.o.) kann die Einschränkung der Hörfähigkeit bzw. die eingeschränkte Geräuschverarbeitung entlang der Hörbahnen bis hin zur Hörrinde des Großhirns darstellen.

  2. Liquoruntersuchung: Beim Verdacht einer zentralen Problematik kann die Untersuchung der Gehirnflüssigkeit durch Punktion am Übergang zur Halswirbelsäule entzündliche und infektiöse Prozesse ausschliessen.

 

Hörkurve eines Hundes mit einem Meningiom (Hirnhauttumor) im Bereich des Stammhirnes auf der rechten Seite: Das Signal des rechten Hörens (untere Kurve) wird nicht weitergeleitet.

Deutliche kontrastmittel-anreichende Umfangsvermehrung (*) auf der rechten Seite des Hundes

Junge Jagdhündin aus Griechenland mit linksseitiger Läsion im Stammhirn und einer Läsion im Halsmark, die sich als sehr verdächtig für ein hochmalignes B-Zell-Lymphom herausgestellt hat.

 

Behandlung

 

Die Behandlung von Vestibulärerkrankungen hängt natürlich deutlich von der Ursache ab! Es gibt auch Störungen, die für die Patienten keine großen Einschränkungen bedeuten und daher auch keine Therapie benötigen: Z.B. der angeborene Nystagmus der Siamkatzen oder der Perser. Angeborene oder im Mutterleib erworbene Störungen der Kleinhirnentwicklungen müssen diagnostisch gegenüber später erworbene Erkrankungen diagnostisch abgegrenzt werden, können aber auch ohne Behandlung im Laufe der ersten sechs Lebensmonate kompensiert werden, auch wenn bei Aufregung (Futtergabe) wieder Probleme auftreten können. Bei älteren Patienten, v.a. bei verringerter Flüssigkeitsaufnahme kann als Erste-Hilfe-Maßnahme physiologische Kochsalzlösung infundiert werden. Zusätzlich können Antiemetika gegen eine mögliche Übelkeit verabreicht werden. Der Einsatz von Kortisonpräparaten sollte erst nach ausführlicher Diagnostik erfolgen, da es die Untersuchungsergebnisse der Liquoruntersuchung oder der MRT beeinflusst. Es gibt zudem auch keinen Nachweis, dass Kortison den Verlauf eines idiopathischen peripheren Vestibularsyndroms (Meniere's Erkrankung) beim Tier verkürzt.

Grundsätzlich sollte aus der Voruntersuchung verdächtige toxische Substanzen evtl. sofort abgesetzt werden! Der Patient muss zudem so gebettet bzw. betreut werden, dass Selbstverletzungen durch Herunterfallen und beim festliegendem Tier Druckgeschwüre verhindert werden.

 

Prognose

 

Abhängig von der Ursache, wobei das idiopathische Vestibularsyndroms der älteren Hunde grundsätzlich eine gute Prognose hat, nach ca. 4-6 Wochen abzuheilen. Leider kann zeitlebens eine dezente Kopfschiefhaltung und Bewegungsstörungen der Gliedmaßen (Ataxie) zurückbleiben.

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